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Die Ungarndeutschen nennt man dort Sachsen

Die Gemeinde Deutschpilsen (Nagybörzsöny), südlichste Gemeinde des Hauerlands
Die Ungarndeutschen nennt man dort Sachsen
Die romanische Kirche St. Stephan in Deutschpilsen
Foto: Éva Márkus, Michael Prosser-Schell
Der nachfolgende Text von Dr. habil. Éva Márkus, Dozentin an der Fakultär für Erzieher- und Grundschullehrerbildung an der Loránd-Eötvös-Universität (ELTE) in Budapest, und Prof. Dr. Michael Prosser-Schell, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa in Freiburg, stellt die ungarndeutsche Gemeinde Deutschpilsen vor, die nördlich von Szob im nördlichsten Ausläufer des Komitats Pest nahe der Grenze zur Slowakei liegt. Da die Gemeinde dem Hauerland zugerechnet wird, werden die Ungarndeutschen hier als Sachsen und nicht als Schwaben bezeichnet.

Eine der merkwürdigsten und interessantesten Dorfgemeinden mit ungarndeutscher Besiedlung ist ganz sicher Deutschpilsen (Nagybörzsöny), gelegen oberhalb des Donauknies, schon am Eingang der Berglandschaft hin zur Slowakei. Die erste bekannte Benennung als Örtlichkeit kommt in einer Urkunde des Jahres 1138 vor (dort als »Belsun«). In mehreren Schüben haben deutschsprachige Bewohner sich historisch hier angesiedelt – erstmals kamen Deutsche wohl während des 11. bis 13. Jahrhunderts als Bergleute.

Das Dorf gilt als südlichster Punkt des so genannten »Hauerlandes« oder »Hauland«, wie man es auf Deutsch wegen seiner Kultivation durch Rodung nennt. Seit dem 13. Jahrhundert wurden große Silbervorkommen abgebaut, aber auch Goldund Eisenerzminen lagen in der Region; ein Zentrum ist auszumachen um die Stadt Schemnitz (Bánska Štiavnica). Für seine Goldgruben war vor allem die Gegend um Kremnitz (Kremnica) bekannt: Die Bodenschätze aus dem »Hauerland« machten im Mittelalter einen großen Teil der gesamten europäischen Edelmetallgewinnung aus und sorgten hier für erheblichen Wohlstand bis ins frühe 18. Jahrhundert. In der Umgebung um Deutschpilsen (Nagybörzsöny), das als Gemeinde etwa um 1200 verfasst worden war, griff man auf Blei-, Gold-, Silber-, Schwefel- und Eisenerzlagerstätten zu. Wir wissen durch ein Schriftstück mit dem gesicherten Datum 1416 aus der Kanzlei König Sigismunds von einer erneuten Anwerbung deutschsprachiger Bergleute. Für sie galt Sächsisches Recht, weshalb sie öfters unter dem Sammelbegriff »Sachsen« im Schrifttum erscheinen: Sonach erweist sich Deutschpilsen heute als das einzige Dorf in Ungarn, in dem sich die Nachfahren der Einwanderer eben als Sachsen, nicht als Schwaben bezeichnen. Die Zuwanderung von Fachleuten der Metallurgie erfolgte allerdings zu einem wesentlichen Teil wohl aus Tirol, der Steiermark und dem Erzgebirge, erkennbar noch in der Mundart – Südbairisch, Donaubairisch und Ostmitteldeutsch: Eine von Éva Márkus von der ELTE-Universität Budapest zwischen 2009 und 2013 durchgeführte sprachwissenschaftliche Untersuchung hat noch Aufnahmen mit insgesamt neun Personen machen können, die alle zwischen 1923 und 1933 geboren sind, also zwischen 76 und 89 Lebensjahre zählten. Der Deutschpilsener Lokaldialekt existiert zweifelsohne, fungiert jedoch als eine häusliche, gleichsam intime Kommunikationsform im kleinen privaten Umkreis, geläufig und beherrscht noch in der älteren Generation. Die Sprache erweist sich, genauer gesagt, als eine südbairisch/ südmittelbairisch-ostmitteldeutsche Mischmundart, die Relikte aus älteren Sprachstufen aufweist. Sie lässt noch Übereinstimmungen mit dem mittelhochdeutschen Sprachzustand hören, gerade auch mit den mittelalterlichen Elementen des bairischen Dialekts in den bairischen Außensprachinseln.

Zu einem bedeutenden Kultur- und Wirtschaftsfaktor wurde zudem der Weinbau. Schriftliche Quellen, aus denen hervorgeht, dass Deutschpilsen aufgrund seiner Erträge als wichtigster Weinbauort der Gegend galt, gibt es seit dem 16. Jahrhundert. Wie in fast allen Rebfluren Ungarns und Europas schlug auch hier ausgangs des 19. Jahrhunderts der Phylloxerabefall verheerend zu. Nach der neuen Grenzziehung ab 1920 verloren die Weinbauern von Deutschpilsen die nordwärts gelegenen Absatzmärkte. Die wenigen Presshäuser, die heute in der Pincefalu-Reihe am südlichen Ortsrand zu sehen sind, erinnern noch an den einst hochblühenden Weinbau. Er wurde jedoch um 1960 fast zur Gänze unterbunden, nicht nur weil die Absatzmärkte im Norden verlorengegangen waren, sondern weil die damalige Regierung eher anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen den Vorzug geben mochte: Die Gesamtgröße der Rebflächen betrug im Jahr 1966 nur noch ein Drittel gegenüber der Rebfläche von 1873. Instruktiv nachlesen lässt sich dies bei Andrea Hetesi im neuen, 2016 erschienenen Zeitschriftenband der »Beiträge zur Volkskunde der Ungarndeutschen«.

Die Bevölkerungsentwicklung in exakten Zahlen und differenziert nach Personen wird ablesbar seit der Mitte des 19. Jahrhunderts; sie zeigt folgende Zusammensetzungen der Einwohnerschaft: 1.495 Einwohner waren es 1850, davon 1281 deutschsprachige; 1.762 Einwohner zählte man im Jahr 1900, davon 1.469 deutschsprachige; 1873 Einwohner dann 1920, davon 1.240 deutschsprachige; 1930 war die Zahl auf 1.842 Einwohner, davon 771 deutschsprachige, gefallen; 1949 hatte der Ort 1.762 Einwohner (ohne erkennbare ethnische Differenzierung); 1988 noch 945. Im Jahr 2001 wurden bei der staatlichen Volkszählung 865 Einwohner erfasst, 54 Personen (8 %) gaben eine Bindung an die deutsche Kultur und deutsche Überlieferung an. [...]
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