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Zum Feierabend

Sängerwett-Streit im Adler in Hüttlingen

Die Soroksárer in der neuen Heimat am Tag der Währungsreform
Dass die Integration von uns Vertriebenen aus Ungarn nicht ganz reibungslos verlief, ist eine oft gehörte Tatsache. Wie sollte diese auch ohne Reibereien mit der einheimischen Bevölkerung gelingen? Waren doch die Verhältnisse im zerstörten Deutschland alles andere als günstig für eine entsprechende Entwicklung. 12 bis 14 Millionen Menschen zu integrieren war auch sicher keine einfache Aufgabe, doch sie gelang letztendlich, trotz der anfänglichen Schwierigkeiten und der vielschichtigen Problematik. Einen kleinen Einblick in diese Zeit mit ihren Problemen soll der folgende Beitrag geben.

Der 20. Juni 1948 war der Tag der Währungsreform. Die Reichsmark (RM) wurde von der Deutschen Mark (DM) abgelöst, und diese galt ab 21.06.1948 als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel. Als Startguthaben erhielt jede Person im Tausch von 40 RM 40 DM. Einige Wochen später gab es dann nochmals 20 DM. Fast über Nacht füllten sich die Schaufenster mit einer Vielfalt von Waren, die man lange nicht mehr gesehen hatte oder nur mit Bezugsscheinen kaufen konnte.

Vater und Mutter hatten sich das neue Geld am Sonntag auf dem Rathaus abgeholt und dabei eine ganze Reihe von bekannten Ungarndeutschen getroffen. Es ging hauptsächlich um die neue Situation und wie man damit umgehen sollte. Mutter war zum Kochen nach Hause gegangen, Vater blieb noch bei seinen Diskutanten. Spontan verabredeten sich dabei einige Schicksalsgenossen für den späteren Nachmittag in den Gasthof Adler. Dort wollte man den Tag entsprechend feiern und ausklingen lassen. Man hatte gehört, dass es endlich im Ausschank wieder normales Bier, anstatt des Dünnbiers der letzten zwei Jahre, geben würde, und auch Rot- und Weißweine aus der Remstal-Kellerei sollten angeboten werden!

So traf man sich gegen 16 Uhr im Adler und belegte einen Ecktisch diagonal zum Stammtisch. Neben drei Schorokscharern (Soroksár) bildeten noch einige Apathier (Bátaapáti), Gedrier (Gödre) und Jenier (Baranyajenö) die illustre Runde der Neubürger. Das Spezialbier schmeckte allen recht gut, so dass sich am Tisch bald lebhafte Diskussionen entwickelten, wobei gelegentlich auch Ungarisch gesprochen wurde.

Dies kam am Stammtisch nicht gut an, denn dort hatten sich die Turner und Handballer des TV Hüttlingen ebenfalls zur Feier des Tages getroffen. Nach zwei Jahren in Hüttlingen kannte man sich meist und arbeitete oft auch im gleichen Betrieb oder war sogar Abteilungskollege. Die älteren unter den Turnern waren politisch fast alle dem nationalsozialistischen System nahe gestanden und entsprechend »vorgebildet«.

Nachdem die Diskussionen der Ungarndeutschen fast nur noch in Ungarisch geführt wurden – die Einheimischen sollten nicht alles verstehen – erhob sich einer der älteren Turner und trat an den Tisch der »Flüchtlinge«. Man solle gefälligst Deutsch sprechen, schließlich befinde man sich in Deutschland und nicht im »Zigeunerland«!« Diese Äußerung sorgte natürlich bei den »Zigeunern« (alle mit schönen deutschen Namen!) für gewaltigen Unmut. Einige unter ihnen wollten den Sprecher körperlich angehen, wurden aber doch von den besonneneren Mitgliedern der Flüchtlingsrunde zurückgehalten, zumal die Turner sich bereits erhoben und eine große Drohkulisse aufbauten. So konnte zunächst die angespannte Lage nicht weiter eskalieren.

In beiden Gruppen wurde aber heftig über den Vorfall diskutiert. Danach kehrte man wieder zu den »normalen« Themen zurück, bis dann die Turner zum kollektiven Singen übergingen. Das Liedgut war zu dieser Zeit noch stark von den verflossenen zwölf Jahren geprägt. Den Ungarndeutschen waren die Lieder meist nicht bekannt. Doch als dann »Turner auf zum Streite« intoniert wurde, war dies der Anlass für die Neubürger, ungarische Lieder anzustimmen. Da der konsumierte Wein langsam wirkte – die Schorokscharer, nicht verwöhnt von ihrem erzeugten Wein zu Hause, konnten mit ihm leben, die Apatier weniger, da sie in ihrem fast mediterranen Kleinklima ganz andere Tropfen erzeugt hatten – war man guter Laune: So stimmte man dann »Vörös bort ittam az este« an und ließ »Az a szép« und »Gyere velem az erdöbe« folgen. [...]
Johann Wachtelschneider
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